Dr. Heinz Fischer schreibt an Constantia Spühler:

Foto: Peter Rigaud
Wien, 26. Februar 2007
dr. hfi/gm
Sehr geehrte Frau Spühler-Massiczek!
Im Sinne unseres Telefongespräches habe ich mich in der Angelegenheit Ihres Vaters Dr. Albert Massiczek so gut ich kann um „historische Gerechtigkeit“ bemüht.
Ich habe die von Ihnen übermittelten Unterlagen, insbesondere im Zusammenhang mit Dr. Amalie Oppenheim, im Zusammenhang mit Dr. Gaisbauer und im Zusammenhang mit Friedrich Heer sorgfältig studiert und zur persönlichen Information auch an die Leiterin des Dokumentationsarchives des Österreichischen Widerstandes Frau Univ.-Doz. Dr. Brigitte Bailer übermittelt.
Natürlich steht unbestritten fest, dass Albert Massiczek vor 1938 oder bis 1938 illegalen NS-Organisationen angehört hat. In gleicher Weise verfestigt sich aber meine Überzeugung, dass sich Ihr Vater nach den ersten realen Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus aus innerer Überzeugung vom Nationalsozialismus abgewendet hat.
Frau Dr. Bailer vom Dokumentationsarchiv schreibt mir, dass eine „abschließende, alle Fakten berücksichtigende Beurteilung von Dr. Massiczek eingehende, weiterführende Recherchen erfordern“ würde.
Sie werde sich aber jedenfalls dafür verwenden „dass bei einer allfälligen Neuauflage des genannten Buches eine Neubewertung des Verhaltens von Albert Massiczek in der NS-Zeit vorgenommen wird“.
Ich selbst möchte noch einen Schritt weitergehen und Ihnen gegenüber festhalten, dass für mich die Abwendung von Dr. Massiczek vom Nationalsozialismus nach dem sogenannten Anschluss, aber noch vor Beginn des Zweiten Weltkrieges absolut glaubwürdig ist.
Ich stütze mich dabei nicht nur auf die von Ihnen vorgelegten Dokumente, sondern auch auf meine persönlichen Kontakte mit Dr. Albert Massiczek. Ich habe in vielen Gesprächen mit ihm eine absolut eindeutige negative und ablehnende Einstellung gegenüber dem Nationalsozialismus registriert, wobei diese Glaubwürdigkeit durch sein Eingeständnis bis knapp nach dem Anschluss in NS-Organisationen verstrickt gewesen zu sein, nicht nur nicht relativiert, sondern vergrößert wird.
Eine weitere Quelle für meine feste Überzeugung in diesem Sinn ist Dr. Christian Broda, der langjährige Justizminister. Ich hatte mit Christian Broda (den ich – wie Sie sicher wissen – etwa 1957 kennengelernt habe) und mit seiner ganzen Familie sehr intensiven Kontakt gehabt und ich habe mit ihm und seiner Frau Hilda auch oft über Albert Massiczek gesprochen, der ja nur wenige Häuser von den Brodas entfernt in der Adolfstorgasse gewohnt hat.
Christian Broda, dem man seine kommunistische Vergangenheit in der Zeit zwischen 1934 und 1945 oftmals vorgeworfen hat, hat mit großer Deutlichkeit und mit Respekt davon gesprochen, dass Albert Massiczek zwar zunächst illegales Mitglied nationalsozialistischer Organisationen war, sich dann aber sehr frühzeitig (1938/1939) vom Nationalsozialismus abgewendet hat, nachdem er das Wesen des nationalsozialistischen Terrors und die Inhumanität dieser Bewegung durchschaut hat.
Broda hat sich dabei auch auf das Zeugnis von Friedrich Heer gestützt, der einerseits ein Klassenkollege und enger Vertrauter von Christian Broda war und andererseits Albert Massiczek gut gekannt hat.
Seit unserem Telefongespräch habe ich auch mit Bundesrat Albrecht Konecny Kontakt aufgenommen, der nur wenig jünger ist als ich und von dem ich weiß, dass er in den 50-iger Jahren sowie ich Mitglied des Verbandes Sozialistischer Mittelschüler war und in dieser Eigenschaft ebenfalls Albert Massiczek kennengelernt hat, der ja in dieser Zeit häufiger Besucher und häufiger Referent bei Veranstaltungen der Sozialistischen Mittelschüler und in der Arbeitsgemeinschaft Christentum und Sozialismus war.
Albrecht Konecny beurteilt den Lebensweg und die Haltung von Albert Massiczek ganz ähnlich wie ich und er hat auch (wie er mir in diesen Tagen berichtet hat) ohne Kontaktnahme mit mir aus eigenem für die nächste Nummer der Zeitschrift des BSA einen Artikel geschrieben, den Sie inzwischen erhalten haben und in dem er Albert Massiczek ähnlich beurteilt wie ich und gegen offenbar ungerechtfertigte Vorhaltungen in Schutz nimmt.
Ich glaube daher zusammenfassend im Lichte meiner persönlichen Erfahrungen, im Lichte der Mitteilungen von Auskunftspersonen und auch im Lichte vorhandener Dokumente sagen zu können, dass ich persönlich überzeugt davon bin, dass Albert Massiczek sich zwar als etwa 20-jähriger, der (damals noch illegalen) nationalsozialistischen Bewegung angeschlossen hat, aber sich schon wenige Monate nach dem sogenannten Anschluss aus innerer Überzeugung vom Nationalsozialismus losgelöst hat. Er hat Handlungen gesetzt, die dies beweisen und die nicht mit dem Opportunismus jener gleichgesetzt werden dürfen, die in den letzten Monaten des Krieges die politischen Fronten gewechselt haben und allenfalls auch einige Alibi-Handlungen gesetzt haben, von denen sie erwarten konnten, dass dies nach dem bevorstehenden Kriegsende allenfalls von Nutzen sein könnten.
Ich wollte Ihnen dies mitteilen und verbleibe mit freundlichen Grüßen
[gez.: Ihr Heinz Fischer]