Statement Peter Michael Lingens vom 16. 9. 2007

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Ich habe Herrn Dr. Albert Massiczek im Alter von etwa 15, 16 Jahren durch meine Mutter, Frau Dr. Ella Lingens, kennengelernt. Sie war mit ihm sowohl als Präsidentin der Lagergemeinschaft Auschwitz, wie privat in engem freundschaftlichen Kontakt und hat ihn mir als Prototyp des irregeleiteten jugendlichen Idealisten beschrieben: Jemand, der ehrlich an den Nationalsozialismus geglaubt, sich nach den ersten eigenen Erfahrungen aber umso entschiedener abgewandt habe. So habe er sich ursprünglich enthusiastisch zur SS gemeldet, habe aber schon nach den ersten Aktionen, an denen er beteiligt war, deren unmenschlichen Charakter erkannt. Er habe alles unternommen, um wegzukommen. Die Bestrafung durch die Einberufung zur Wehrmacht und der damit verbundene Fronteinsatz hätten ihn vor der Waffen-SS bewahrt.
Ich habe sowenig wie meine Mutter geprüft, ob diese, zweifellos von ihm stammende Darstellung den Tatsachen entspricht, aber sie schien uns, nach allen unseren Erfahrungen mit ihm, in jeder Hinsicht glaubwürdig. In allen nur denkbaren Zusammenhängen haben wir ihn als einen besonders anständigen, ehrlichen Menschen und glühenden Anti-Nazi kennen gelernt, wobei uns Letzteres die durchaus logische Konsequenz seines SS-Erlebnisses zu sein schien.
Wie meine Mutter habe ich es immer als absurd erachtet, einem Menschen zum Vorwurf zu machen, dass er, noch dazu in blutjungen Jahren, auf den Nationalsozialismus hereingefallen ist, sondern halten es im Gegenteil für eine moralische Leistung, sich aus eigener Kraft aus diesem Irrglauben befreit zu haben. Wann immer es darum ging, ein Wiederaufleben nationalsozialistischen Gedankengutes zu bekämpfen, habe ich Dr. Massiczek als besonders überzeugten und überzeugenden Mitstreiter erlebt: Gerade, weil er selbst auf diese archaische Ideologie hereingefallen war – woraus er nie ein Hehl machte, konnte er so glaubwürdig davor warnen.
16. 09. 2007, Peter M. Lingens