Statement Dr. Hedwig Bodenstein vom 18. 3. 1947
Hedy Bodenstein
Wien 15. Tannengasse 5/40
Betrifft: Dr. Albert Massiczek.
Ich kenne Dr. Massiczek seit 1938. Wir waren damals Studienkollegen an der philosophischen Fakultät der Universität Wien. Dr. Massiczek gehörte zu jenen Menschen, die den „Umbruch“ zunächst mit Überzeugung mitmachten die sich jedoch, als sie das wahre Wesen der nazistischen Theorie und Praxis erkannt hatten, sofort entschlossen in die Reihen der Untergrundbewegung stellten.
Bereits wenige Monate nach der Okkupation Oesterreichs stand Dr. Massiczek zusammen mit Dr. Friedrich Heer, Wien 7. Neustiftgasse 47, mit Dr. Viktor Reimann, Salzburg, Berggasse 12, mir und anderen in der Widerstandsgruppe Dr. Roman K. Scholz. Wir waren es – ich betone daß Dr. Massiczek wesentlich und in führender Stelle daran beteiligt war – die die studentische Widerstandsbewegung auf dem Boden der Wiener Universität begründeten und aufbauten.
Dr. Massiczek vervielfältigte und verbreitete viele Stellen des im Dritten Reich verbotenen Werkes „Die Revolution des Nihilismus“ von Hermann Rauschning, das ich aus der Schweiz nach Oesterreich geschmuggelt hatte. In gleicher Weise verbreitete er unter Lebensgefahr viele andere verbotene Schriften. Immer wieder beteiligte er sich initiativ an Unterstützungsaktionen für aus rassischen und politischen Gründen Geschädigte des Hitlerregimes.
Nur durch einen glücklichen Zufall wurde Dr. Massiczek im März 1940 nicht in die Liste unserer Widerstandsgruppe aufgenommen. Es war dies nur darauf zurückzuführen, dass er am 1. April 1940 zur Wehrmacht einrücken musste und daher zunächst seine bisherige Funktion aufgeben musste. Daher gehörte er zu den wenigen, die, als unsere Gruppe durch den Verräter Otto Hartmann aufflog, nicht verhaftet wurden. Das Schicksal von Dr. Roman K. Scholz ist bekannt. Dr. Reimann wurde zu zehn Jahren Zuchthaus, ich selbst zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus und zu 3 Jahren Ehrverlust verurteilt.
Wäre Dr. Massiczek verhaftet worden, so hätte gerade er in seiner besonders exponierten Stellung ohne Zweifel das Schicksal unseres Gruppenführers geteilt.
Abschliessend möchte ich noch festhalten, dass ich es höchst sonderbar finde, dass Dr. Massiczek wegen eines kurzen Jugendirrtums noch immer Schwierigkeiten gemacht werden. Ich finde, dass 7 Monate Illegalität unter Schuschnigg durch 7 Jahre Widerstandskampf gegen das Blutregime Hitlers wohl reichlich aufgewogen werden.
[signiert: Hedy Bodenstein]
Wien, am 18. März 1947.